Wie Du zur Erforschung von Covid-19 beitragen kannst

15. April 2020

Eine Gruppe renommierter Biochemiker in den USA haben ein Konzept entwickelt, mit dem jeder und jede zu lebensrettenden Therapien gegen das Corona-Virus beitragen kann. Doch wie genau funktioniert dieses System und welchen naturwissenschaftlichen Hintergrund hat das Projekt?

Der Biochemiker Greg Bowman verlor mit acht Jahren fast sein ganzes Augenlicht und konnte seither nichts mehr sehen.1 Seine Erkrankung hängt wohl mit der Mutation eines Proteins in der Retina zusammen – eben jene Stoffe, die er seit über zwanzig Jahren als Wissenschaftler untersucht. Dr. Bowman untersucht trotz seiner starken Sehschwäche Proteine, die man nicht einmal mit den besten Mikroskopen der Welt erkennen kann.

Die Struktur von Proteinen ist der Schlüssel zur Heilung vieler Krankheiten – von Alzheimer bis Covid-19. Die Herausforderung: Proteine habe keine statische Struktur, sondern „wackeln und schütteln“ sich, wie es der Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman ausdrückte.2 Es ist unmöglich, diese mannigfaltigen molekularen Strukturen in Experimenten zu untersuchen. Doch moderne Computer-Technologie kann zur Lösungs dieses Problems beitragen. Durch grafische Simulationen der Proteine kann das „Wackeln und Schütteln“ der Proteine nachgestellt und damit verschiedene Formen der Proteine untersucht werden.3

Grafische Simulationen erfordern immense Rechenleistung, die eine Universität nicht zur Verfügung stellen kann. Deswegen tat sich Bowman mit einer internationalen Gruppe von Wissenschaftler*innen zusammen und gründete Folding@Home. Ein Computer bräuchte tausende Jahre, um einen signifikanten Beitrag zur Forschung zu leisten. Doch was, wenn sich Menschen aus aller Welt zusammentäten und gemeinsam für die Erforschung von Proteinen rechnen würden?

Der Biologie Greg Bowman

Das ist die Idee von Folding@Home. Diese sogenannte Verteilte Verarbeitung (auf Englisch „Distributed Computing“) von Datenpaketen ermöglicht es durch das Engagement Vieler die Rechenleistung der leistungsstärksten Super-Computer der Welt zu übertreffen. Die Idee der Verteilten Verarbeitung ist eine zutiefst demokratische: Bürgerinnen und Bürger können direkt mit ihrer Rechenleistung zur Forschung beitragen.

In den letzten zehn Jahren spendeten viele Bürger*innen ihre Rechenleistung an Folding@Home, doch die Initiative wurde nie über wissenschaftliche Kreise hinaus bekannt. Das änderte sich rapide in der Corona-Pandemie. Folding@Home entschloss sich, das sogenannte Spike-Protein des Corona-Virus zu untersuchen.4 Plötzlich begann das Rennen um den größten Beitrag zu Folding@Home: der Grafikkarten-Hersteller Nvidia und Amazon begannen, für das Projekt zu rechnen. Mittlerweile erhält Folding@Home 6 Terrabyte Daten pro Stunde – zum Vergleich: das entspricht der Speicherkapazität von 100 iPhones pro Stunde. Anton Thynell von der Stanford-Universität koordiniert das Projekt und kann Anfragen nur noch mit Einzeilern wie „Great“ und „Sure“ beantworten.

Nun bekommen die Wissenschaftler*innen durch das Engagement vieler die Datengrundlage, um die molekularen Strukturen des SARS-CoV-2 näher zu untersuchen. Dadurch vollziehen sie die Angriffsflächen für potenzielle neue Therapien für den Covid-19 Virus nach. SARS-Coronaviren wie SARS-CoV-2 dringen über die oberen Atemwege in die Lunge ein. Sie gelangen durch Bindung ihres Spike Proteins an ACE2-Rezeptoren in die Wirtszellen. Therapeutische Antikörper können die Bindung zwischen Virus und Wirtszelle blockieren und verhindern so deren Infektion.

Ein therapeutischer Antikörper wurde bereits für SARS-CoV-1 entwickelt. Um einen Antikörper für SARS-CoV-2 zu finden, bedarf es einer detaillierten Untersuchung der Interaktion zwischen dem Spike Protein (Protein des Virus) und dem ACE2-Rezeptor (Rezeptor der menschlichen Zelle, auch Wirtszelle genannt).

Durch fortlaufende Veränderung viraler Oberflächenproteine, macht das Virus es dem menschlichen Immunsystem besonders schwer, effektive Antikörper zu bilden und so den Infektionsverlauf zu unterbinden. Denn, wie es Richard Feynman sagte, die Proteine „wackeln und schütteln“ sich. Um effektive Antikörper zu entwickeln, möchten Forscher*innen viele verschiedene Proteinkonfigurationen des viralen Spike-Proteins untersuchen. Vor allem die Analyse der molekularen Struktur kurz vor Infektion der Wirtszelle ist besonders relevant, um die Interaktion mit ACE2 (Rezeptor der menschlichen Zelle) effektiv zu hemmen. Deswegen simuliert Folding@Home die molekulare Struktur der Proteine.

Bowman von der Washington University träumte schon als Kind von einem eigenen Super-Computer. Nun ist dieser Traum wahr geworden und Folding@Home trägt mit seiner kollektiven Rechenleistung zur Findung lebensrettender Therapien bei. Das ist ein Erfolg für die Wissenschaftler*innen, aber auch ein positives Beispiel für Zusammenarbeit und Solidarität in unserer Welt. Denn ohne die Unterstützung von Menschen aus der ganzen Welt, wäre Folding@Home nicht das, was es heute ist: der größte Super-Computer der Welt.

Doch damit ist es nicht getan: es kann nicht genug gerechnet werden. Jeder Beitrag zur Folding@Home kann zur Erforschung der Proteinstruktur von Covid-19 beitragen und hilft ganz konkret. Jeder und jede kann einen Beitrag zur Forschung leisten. Du kannst Folding@Home auf Deinem Computer installieren. Wir von #HackingCorona stellen ausführliche Informationen zur Installation und datenschutzrechtlichen Fragen zur Verfügung. Erfahre mehr dazu auf unserer Webseite.

Quellen

1 „Bowman leading international supercomputing project“ Washington University School of Medicine: hier klicken

2 „Fundamentals of Neurodegeneration and Protein Misfolding Disorders“ Martin Beckermann: hier klicken

3 „Coronavirs – What we’re doing in simple terms and how you can help“ Greg Bowman: hier klicken

4„Folding@Home takes up the fight against Covid-19/ 2019-NCOV“ Greg Bowman: hier klicken

Über den Autor

Vincent Winterhager ist Initiator des Projekts #HackingCorona. Wenn er nicht gerade für #HackingCorona aktiv ist, arbeitet er bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Bereich Digitalisierung und Entwicklungszusammenarbeit.

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